Jakobsweg - 06.05.2008: Hontanas => Fromista

Wecken war um fünf Uhr angesagt, nicht, weil ich es so gewollt hätte, sondern weil es die beiden Frauen aus der Ukraine oder Moldawien oder sonst woher so wollten, die ihre Wecker auf 5 gestellt hatten und dann ewig im Schlafsaal herum werkelten, fluchten, mit Kopflampen leuchteten, hinaus und wieder hinein gingen, stolperten, fluchten, sich unterhielten, zwar flüsternd, aber im Streit dann doch nicht so richtig leise, werkelten, fieseste Plastiktüten ein und auspackten, ...
Fünf Minuten hörte ich mir das an, ertrug es nicht weiter, entschied, dass alle wach wären, die jetzt eventuell noch schliefen, wenn ich die beiden wutentbrannt anbrüllte (und ja, das war ich), packte mein zeug (ohne Lampe natürlich) innerhalb von ein paar Sekunden, ließ mich aus dem Bett gleiten (ok, einer hat es gehört, das habe ich später erfahren) und ging hinaus, wie üblich. Draußen gemütliches Anziehen, Morgentoilette, Packen, ... - weil es noch zu dunkel für mein Gefühl war, ließ ich mir viel viel Zeit, rauchte noch eine Zigarette, setzte mich noch mal ruhig hin, erlebte den Aufbruch einer größeren Gruppe, Spanier glaube ich, 8 Leute oder so, die in den kleinen Schlafrümen geschlafen hatten und zusammen gehörten, die also mit ihrem Gelärm sonst niemanden aus dem Schlaf rissen (aber wie das aussah, wenn sie in einem großen Saal schliefen, wollte ich mir lieber nicht vorstellen).
Da ich nichts zu essen mehr hatte und auch nichts kochen konnte, blieb das Frühstück in der Bar - das war auch sehr schnell fertig (soweit ich mich erinnere, gab's einen Kaffee, immerhin frisch gemacht, das übliche Weißbrot von gestern Abend in großen Mengen aufgebacken und Marmelade) und dann war einfach nichts mehr zu machen, ich ging hinaus in die Dunkelheit.
früh

(na gut, ich muss ja eingestehen, dass es auf dem Photo dann doch schlimmer aussieht, als es wirklich war - aber wäre ich am Vortag nicht wacker durch die große Stadt gestromert, ich hätte den Weg im Dunkeln vielleicht wirklich nicht gefunden, da die Pfeile nicht so gut zu sehen waren und die Straßenbeleuchtung nicht gerade die beste. Aber auch wenn ich es schon verrückt fand, dass die beiden Damen z.B. regelmäßig schon im Stockdustern starteten, andere Leute sich jeden Morgen verliefen (es wurde von einem Mann gemunkelt, dass er das wirklich jeden Morgen täte, aber es trotzdem nicht ließe und immerhin genug Selbstironie besäße, Witze darüber zu machen), auch wenn ich selbst mir nicht vorstellen konnte, wie die Spanier mit um den Kopf geschnallten Lampen zu gehen, um sich den Weg über Stock und Stein mehr zu ertasten als ihn zu sehen, war es doch auch ein schönes Erlebnis, den Sonnenaufgang draußen zu erleben, ganz allein, nicht mal mehr in Sichtweite des Dorfes, das schnell hinter einem Hügel verschwunden war, ohne irgendwo menschliche Beleuchtung zu sehen (auch die Taschenlampenläufer waren lange vor mir weg und nicht mehr zu sehen, vielleicht waren ja die eine und der andere auf dem Weg in den Straßengraben gefallen und harrte nun mit gebrochenem Bein auf Rettung - um Einzelheiten im Straßengraben zu erkennen, war es allerdings noch viel viel zu dunkel).

Die Landschaft hatte sich stark verändert mit dem Abstieg nach Hontanas hinein - es war nicht mehr die steinige, karste Hochebene (so hatte ich die Gegend hinter Burgos gefühlt), sondern wieder eine sehr flache, gewellte, sehr fruchtbare Landwirtschaftslandschaft, die im prallen Grün erstrahlte, sobald es für das Strahlen genug Licht gab.
Landschaft

Und inmitten dieser Landschaft, in der man prima Filme phantasieren konnte, mit Reitern und Recken und Prinzessinnen und so Sachen, fanden sich dann auch die Überreste eines uralten Klosters, das sich vor ewigen Zeiten mal - bestimmt um beim Passieren kräftig Geld zu kassieren - in einem Ausläufer als Brücke über die Straße geschwungen hatte, und genau dieser Teil des alten Gemäuers steht auch heute noch dort, Ehrfucht gebietend, vielleicht auch Furcht verbreitend, wenn man zur falschen Zeit mit zu schwachen Nerven und dem Glauben an Gespenster vorbei kommt, aber sicher eindrucksvoll.
Brückenkloster

Das nächste größere Dorf war Castrojeriz, ein richtiges Dorf mit einer weiteren dicken fetten Ruine am Dorfrand und Läden und Bars und Menschen und bestimmt auch einer Schule und Bauern und Handwerkern und allem drum und dran (Herbergen gab's dort auch, eigentlich wäre es der nettere Ausgangspunkt für die heutige Etappe gewesen, aber die 30 km gestern hatten mir gereicht, acht Kilometer mehr wären viel geworden - und heute würden es 33 werden, mit dem Nachteil aber, dass es ewig lange Strecken zu laufen gäbe ohne Rastmöglichkeiten - die zwei Dörfer vor dem Etappenziel waren entsprechend weit voneinander entfernt und versprachen in etwa die gleiche Größe wie Hontanas - also sicher eine Bar, vielleicht auch Herbergen, was aber nicht sicher war und eventuell mal einen Laden, wenn ich etwas Glück hätte (auf das ich mich nicht verließ und dementsprechend in Castrojeriz Vorräte für diesen und den nächsten Tag einkaufte, die müsste ich dann zwar tragen, aber so war ich sicher, etwas zu essen zu haben). Ein lustiger alter Mann managte den Laden, nicht gerade sauseflitzig schnell, bedächtig holte er ein Brot aus dem Regal, kam nur langsam tapsend bis zur Wurst um mir die gewünschte zu geben, aber egal was, er machte alles irgendwie richtig nett, schade, dass mir das Spanisch fehlte, um mich wirklich unterhalten zu können. Als ich dann draußen war, hörte ich ein Rufen - na gut, es wird öfter gerufen und gerade in Istanbul habe ich gelernt, ungefragten Lärm einfach zu ignorieren, aber nach einigen Schritten habe ich dann doch begriffen, dass mit dem "Pelegrino, Pelegrino" ich gemeint war, "Pilger, Pilger" und dass der gute alte Mann meinen geliebten Stock schwenkte, den ich Depp einfach vergessen hatte.
Insgesamt war's ein viel netteres Städtchen als das verschlafene Hontanas und die 8 km gestern hätten sich doch noch gelohnt, vor allem, weil ich gar nicht so müde gewesen war ...
Castrojeriz
In der kleinen Stadt gab's dann auch noch eine dritte Kirche (an der zweiten führt der Weg zwar direkt vorbei, die war aber abgeschlossen), die dritte also ist auch direkt im Zentrum, wirklich nur wenige Meter ab vom Weg, und ausnahmsweise ging ich dann doch hin, schaute hinein, sah die Baustelle und Leute bei der Arbeit und fragte trotzdem dreist nach, ob ich hinein schauen dürfe - irgendwie zumindest verständigten wir uns, ich weiß nicht mehr, in welcher Sprache, und ich durfte hinein, ganz angetan von der Atmosphäre die geprägt war eben von den Arbeiten mit dicken fetten Maschinen, viel Dreck einerseits und Haarpinsel und winzigen Farbtöpfchen andererseits sowie vom etwas heruntergekommenen allgemeinen Aussehen außerhalb des aktuellen Arbeitsbereiches. Richtig interessant fand ich die Kreuzwegsbilder, die in der Kirche verteilt hingen, teilweise leider auch fehlten, teilweise sehr schief hingen - bei Gelegenheit muss ich mal nachsehen, ob die Photos, die ich damals gemacht habe, zu gebrauchen sind.

Genug Castrojerez, der Weg führte weiter durch die Hochebene und zog sich dahin, ohne besondere erinnerungswürdige Erlebnisse kam ich bis nach Boadilla del Camino, wo es auch gleich am Ortseingang eine nette Herberge gibt, ich war zwar nicht mehr früh, aber noch waren vier oder fünf Betten frei und am Eingang lungerten ein paar nette Leute herum - doch wirklich richtig gut gefiel es mir dort nicht, vielleicht, weil ich noch eine halbe Stunde hätte warten müssen, bis der Hostelero gekommen wäre, um mich offiziell einzutragen, vielleicht, weil ich einfach so im Wandertran war, dass ich gar nicht aufhören wollte, vielleicht weil die Musik vom nahen Grillplatz zu laut war, ich zog einfach weiter, stieß am Ortsausgang auf einen Kanal, der schnurgerade nach Fromista führte und an dem sich der Weg dann orientierte - mindestens 3 km ging es ohne Kurve dahin, rechts der Kanal, eine Böschung hoch zum Weg, eine Pappelreihe, teilweise links wieder eine Baumreihe, Böschung und Landwirtschaft. Und weder vor noch hinter mir war für einige Zeit irgend ein Mensch zu sehen, 3 km Weg, die ganz allein mir gehörten (oft genug hatte ich vor und hinter mir niemanden gesehen, was aber oft genug daran lag, dass die Sichtweite nur ein paar Meter betrug, im Wald z.B., in den Hügeln, ... aber hier war ich dann wirklich ganz allein, wie gesagt, es war spät, ich hatte schon 30 km hinter mir, die meisten Pilger saßen geduscht und vollgefressen in irgendwelchen Bars herum oder ruhten sich aus ...). Ich war zwar nicht mehr sonderlich fit, müde, um ehrlich zu sein, auch schon arg erschöpft, aber ich genoss es unendlich, hier ganz alleine zu wandern und irgendwie nichts zu denken und darin auch nicht gestört zu werden.
KanalJakobsweg-08-05-06-5992.jpg
Nach einiger Zeit wurde die Stille durch zwei Kleinbusse unterbrochen, die mir entgegenkamen, nicht weit hinter mir stehen blieben und eine Horde Jugendlicher entließ, die dann auch wacker hinter mir her kam. Sie waren etwas schneller als ich, holten mich ein, plapperten viel allein oder miteinander, guckten mich in der Regel zwar an aber gingen meistens in möglichst großer Entfernung auf dem nicht gar so breiten Weg an mir vorbei , teilweise warteten sie sogar auf die Betreuer und wagten dann eng um diese geschart das Überholen. Nur einer begrüßte mich auf Englisch, konnte aber dann leider nicht weiter, als ich reagierte und - auch in Englisch - nachfragte. Aber immerhin wagte dann einige doch ein "Hola" oder "Buenos Dios". Insgesamt eine irgendwie sehr spannende Begegnung war diese Gruppe von geistig behinderten Jugendlichen, die, wie mir eine der Betreuerinnen dann erklärte, auch den Jakobsweg wanderten, allerdings immer nur kurze Stücke, heute z.B. diesen Abschnitt bis nach Fromastera, 3 km, vielleicht 3,5, um dann in einem Heim in einiger Entfernung zu übernachten und morgen einen anderen Abschnitt zu gehen, jeden Tag nur ein kleines Stück von der jeweils im Bus zurückgelegten Strecke. Bevor der Weg dann auf einer Brücke über den Kanal ging, warteten auch wieder die Busse auf die Gruppe, die sich lautstark dort versammelte, als ich sie wieder einholte. An der Schleuse, die mit der dazugehörigen Brücke eben auch die Möglichkeit bot, auf die andere Kanalseite zu gelangen, begegneten mir dann auch zwei später Fahrradpilger, ein Paar aus Neuseeland, wie sich später herausstellte, wir unterhielten uns nur ganz kurz, ich sollte für sie ein Photo mit ihnen machen, wie sie ihre Fahrräder über die Brücke, eher einen schmalen Steg, wuchteten und sie sausten dann weiter, um Unterkunft und Ruhe zu finden, während ich mich auf die Suche nach der Herberge begab. Und hier geschah es das erste Mal, dass ich den Weg so weit verlor, dass ich mich bis zur Herberge durchfragen musste, weil ich einfach keine Markierung mehr fand.
Steg

Abends traf ich die beiden Neuseeländer dann wieder, Tom und ichweißnichtmehr, sie waren sehr nett, wir unterhielten uns den ganzan abend beim Kaffee, dann beim Bier und später beim Abendessen miteinander, er hatte etwas Ähnlichkeit mit meinem ehemaligen Chef in der Türkei, W., der ja auch eine Fastglatze sein eigen nennt und eine natürlich offene Ausstrahlung hat. Allerdings waren die beiden doch sehr auf Autos als Thema fixiert, das immer wieder auftauchte - lustig war unsere Überlegung, dass all diese Massen von LKW, die wir sahen wohl für eine größere Baustelle sprachen - Überlegungen, die die beiden professionell anstellten, waren sie doch im Transport- und Bauwesen tätig gewesen vor einiger Zeit.


Zurückgelegte Strecke: 33 km
Wetter: Heiß, trocken
Allgemeine Befindlichkeit: gut, den Knien ging's wesentlich besser, die Schienbeine (Knochenhautentzündung wohl) schmerzten teilweise schon arg.
Samuel B. - 16. Mai, 18:13

ich glaub, ich werde mal beginnen zu zählen, wie viele bars du aufgesucht hast.

erik-n - 16. Mai, 22:00

viele - täglich mindestens drei, ist es doch üblich in spananien, in bars eine Kleinigkeit zu essen und ein getränk (alkoholfrei) zu sich zu nehmen, wenn man unterwegs ist, morgens, mittags, später, abends, ...
und wenn man dann ausgeht, zumindest als spananischer mensch, dann rennt man nach einem getränk (allerhöchstens z.B. ein Bier mit 100 ml, vielleicht auch 50, aber 0.3 Liter ist schon viel zu viel, ist schon Alman Cerveca) sofort in die nächste Bar usw - also bin ich mit meinen 3 oder vier noch richtig harmlos ;-)

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