Dienstag, 5. Mai 2009

Jakobsweg - 05.05.2008: Burgos => Hontanas

Weil ich im Notfall (wenn die Herberge im Etappenziel Hontanas voll wäre), bis zu 40 km gehen müsste, brach ich relativ früh auf. (Woher die allgemeine Panik kam, dass keine Schlafplätze zu finden wären, weiß ich nicht mehr, aber sie war da, war neben der Körperlichkeit das Hautpthema - in unseren Gesprächen ging es, sobald sich zwei Pilger kennen lernten, um bestimmte Themen: Warum gehst du den Jakobsweg? Welche Blessuren hat dein Körper schon? Wo wirst du heute Nacht übernachten? ...). Im Gegensatz zu der Mehrheit der Pilger, die der Meinung waren, man müsse nun besonders früh aufbrechen, besonders schnell gehen um dann auch ganz früh in den entsprechenden Herbergen zu sein, weil die sonst ausgebucht wären, hatte ich mir, wie schon auf der Etappe nach Agés überlegt, dass es immer Möglichkeiten gibt: wären die Herbergen wider Erwarten ausgebucht könnte ich weiter wandern - und wäre dann auch alles belegt, gäbe es Pensionen, wo man fragen könnte, notfalls auch die Leute im Dorfladen oder den Pfarrer, vermutlich würde sich jemand freuen, das Gästebett gegen einen kleinen Obolus zur Verfügung stellen zu können. Und wenn das nicht möglich wäre, es auch keine Scheune mit Heu oder Stroh gäbe, dann eben Bus ins nächste größere Dorf - und wenn es keinen Bus gäbe, würde sich jemand finden lassen, der führe, da war ich mir sicher - aber ganz fest ging ich erst einmal davon aus, dass die Betten in den Herbergen ausreichen würden, wie gesagt, notfalls eben nicht die erste sondern erst die zweite, und dann wäre es egal, ob ich in der Nacht losrennen würde oder erst nach hell werden, die Zahl der Betten würde dadurch nicht steigen, die Zahl der Pilger nicht sinken ...
Ok, ein wenig war ich vielleicht auch von der Furcht beeinflusst, dass es schwieriger werden könnte, ein Qartier zu finden, aber ich würde es nicht übertreiben - tatsächlich stand ich früh auf, hatte ein kurzes Frühstück und war schon um 6.51 auf dem Weg nach draußen, schaffte es aber doch, endlich die Treppe zu photographieren, die in unserer altehrwürdigen Pension nach oben führte, wie ich es mir die ganze Zeit, die ich hier verbracht hatte, vorgenommen hatte:
Treppe

Wie schon einige male zuvor wanderte ich ganz gemütlich alleine aus einer Stadt heraus, bevor die so richtig wach wurde. Der Weg führt dann auch meistens über kleine Straßen, vermeidet die Hauptverkehrslinien, so dass man früh morgens mit der grausamen Realität des Berufsverkehrs zum Schichtwechsel in der Fabrik nicht konfrontiert wird, sondern beschaulich durch alte Gässchen wandern kann, um die Stille des Morgens zu genießen.
Gässchen

Spannend fand ich ja auch das Denkmal für Cervantes mitten in einer recht neuen Siedlung - es stand einfach da und ich hatte keine Ahnung, warum gerade dort, konnte mich aber nicht aufraffen, den kleinen Schlenker dorthin zu machen in der Hoffnung, vielleicht ein Schild zu sehen, mit dem das ganze erklärt würde - ist aber auch nicht unbedingt nötig, man erkennt ja - spätestens nach Picasso - wer das ist.
Don Quichote

Außerhalb der Stadt kam ich dann an einer riesigen Herberge vorbei, die sehr schön im Park eines alten Klosters gelegen war, in richtig alten Gebäuden, eine echte, urururalte Herberge, in der man aber auch wieder nur eine Nacht bleiben durfte, die also für mich nicht in Frage gekommen war (und dann auch sehr weit außerhalb lag). In der Herberge gab es dann nur noch Reste von Leben, zumindest soweit ich das von außen sehen konnte, es gab ein paar Leute, die sich für das Losgehen fertig machten, und das waren dann wohl schon die späten. Der Weg führte an der Universität, einem eindrucksvollen alten Bau vorbei (oder hinein). Natürlich bog ich zu ihr ab, , wie bei mir, die musste ich mir anschauen und die Pförtnerin, die ich fragte, ob ich hinein dürfte, fragte dann, als ich wieder hinaus ging, sogar noch extra hinter mir her, ob ich nicht einen Stempel haben wolle, sie könne mir gerne einen geben. Normalerweise verzichtete ich ja auf diese Nebenbeistempel, aber da die gute Frau das so unbedingt wollte, ließ ich mir eben einen geben - und es stellte sich heraus, dass sie jeden einzelnen Stempel in ein Buch eintrug, und der letzte Eintrag war schon recht alt - entweder die Leute liefen wirklich alle hier vorbei oder aber sie verzichteten auf die Stempel. Ersteres wäre schade, die alten Mauern der Uni lohnen die zwei, drei Hundert Meter abseits des Weges - vor allem der Turm mit den Störchen auf jeder Ecke (echte lebende Störche, nicht gestellt, und nun doch noch flugs bearbeitet, leider gar nicht gut geworden, aber schaut es euch selbst an, auch wenn ich das Bild heute und hier noch gar nicht zeigen wollte, es gehört einfach dazu ;-)
Eckenvögel

Nach der Universität ging es endlich ganz raus aus der Stadt auf's Land und da waren wir wieder ganz gemütlich beieinander, ich, meine Gedanken und meine Musik per MP3-Player - und sicher nichts Christliches, tut mir ja Leid, aber zum bekennenden Gläubigen war ich bisher noch nicht geworden und würde es auch nicht werden, ...
Ich wanderte brav nach Schrittzähler, ließ das erste Dorf mit seiner Bar aus und verzichtete auf den Kaffee, hatte ich doch noch nicht die 12 000 bis 15 000 Schritte gemacht, die ich mir bis zum Kaffee vorgenommen hatte. Aber bei Kilometer 19 und vielen vielen Schritten war es dann doch so weit, es gab eine Bar und darin einen Kaffee, obwohl die gute Frau, die ihn zubereitete, sich fast tothustete in den langen langen Minuten, die sie brauchte für jeden einzelnen Handgriff - einer der Momente, wo ich zuschaute und überlegte, dass man im Leben sicher viele viele Bakterien abbekommt (und natürlich auch verteilt).
Danach ging es durch eine etwas seltsame Gegend, nicht gar zu hügelig, eher sanft gewellt, erschien sie mir als Ebene (aber wirklich eben war sie auch nicht, es gab immerhin Höhenunterschiede von ca. 150 Metern, aber nach einem Jahr täuscht die Erinnerung manchmal. Ich erinnere aber noch sehr gut, dass mir diese Gegend als sehr weit erschien und dass sie geprägt war von Steinhaufen, die überall aufgeschichtet waren, Haufen von Steinen, die die Bauern in Jahrhunderten aus den Feldern gesammelt hatten und die sich jetzt auf großen Haufen türmten.
Ebene


Und aus diesen Haufen bastelte ich in meiner Phantasie ein kleines großes Kunstwerk: ausgerichtet in Richtung Santiago wären es Steinwürfel, gebaut aus genau diesen Feldsteinen, ein ganz harmlos kleiner als Spitze mit einer Kantenlänge von 2,5 m, dann in einigem Abstand einer von 5 m, der nächste hätte 20 m und der letzte dann 40 m. Alle wären gleich ausgerichtet, so dass sie, von oben betrachtet, ein langes Dreieck bildeten, dass nach Santiago wiese. Lustig dabei war, dass ich mir das ganze wirklich in allen Details ausmalte, mir überlegte, wie es zu errichten wäre, berechnet, dass die aufgehäuften Steine in der Umgebung noch für weit größere Bauwerke reichten, auch überlegt, was man drum herum alles machen könnte. Spannend war das, eine Phantasie, wie ich sie schon lange nicht mehr entwickelt hatte, vor allem nicht in der konsequenten Verfolgung.
In Hontanas war ich dann recht früh schon angekommen, bekam natürlich sofort ein Bett und genoß das Leben in der großen schönen Stadt mit mal wieder 67 Einwohnern ( http://de.wikipedia.org/wiki/Hontanas ). Gegenüber der Herberge gab es dann tatsächlich ein Cafe und ein Restaurant, es gab eine Kirche im Dorf und ein altes Haus, das renoviert wurde, sogar ein paar Kinder gab es, aber einkaufen war richtig schwierig, weit und breit war kein Laden zu finden, der nächste wäre im Dorf, wie mir gesagt wurde - blos, wo kamen die Frauen her, die Einkaufstaschen nach Hause schleppten, gab es doch auch nur einen Bus, wie mir erklärt worden war, morgens früh nach Castrojeriz und abends spät zurück. Des Rätsels Lösung war ein Verkaufsauto, wo ich dann auch ein Brot bekam, Käse dazu hatte ich noch reichlich durch die Welt geschleppt.
Im Cafe dann leichtes erstaunen, als ich meinen Kaffee brav auf Spanisch bestellte und die Bedienung dann auf Englisch mit mir sprach, erklärte, das fiele ihr leichter als Spanisch und wir dann flugs feststellten, dass wir beide aus Deutschland kämen und ganz einfach Deutsch sprechen könnten - und nicht nur das, nett war sie und nett anzuschaun dazu, so dass der Kaffee am Nachmittag den vom Mittag wieder locker ausglich.
Und weil's bereit auf der Festplatte liegt, gibt's noch ein Bild von Hontanas:
Hontanas
Abends war nicht mehr viel zu tun, ausnahmsweise hatte ich viel gewaschen (bei 2 Hosen, immerhin drei T-shirts, drei paar Socken, drei Unterhosen, nur einem warmen Pulli ... war öfter mal Waschen angesagt, auch wenn es gar nicht viele Teile waren, die gewaschen werden mussten, so doch so ziemlich jeden Tag). Sogar meine Kontaktlinsenbehälter waren klinisch rein und bakterienabtötend luftgetrocknet. Abends gab's dann noch ein Bier in der Kneipe der Herberge und das Nacharbeiten im Tagebuch, außerdem einen Anruf in Deutschland, einen in Istanbul - irgendwie fühlte ich mich tatsächlich ein wenig einsam, nachdem ich wirklich interessante Leute nicht getroffen hatte, während um mich herum eine Menge älterer Deutschländer waren, wohl mehrere Gruppen, auch das Paar aus Kassel - naja, nicht direkt, Hofgeismar - war hier, aber niemand von den Leuten, mit denen ich mich wirklich richtig gut unterhalten hatte und wieder hätte.
Also ging ich früh ins Bett, las noch und schlief auch bald ein.

Strecke: 30 Km, 41 000 Schritte
Wetter: Warm und sonnig
Allgemeinzustand: gut, etwas melancholisch am Abend, Knien geht's viel besser, konnte sogar ins obere Bett klettern, hatte aber festgestellt, dass ich zu viel rauchte, über den Tag verteilt eine ganze Schachtel Zigaretten!

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