Jakobsweg – 19.05.2008: Hospital da Condesa => Triacastela

Jakobsweg – 19.05.2008: Hospital da Condesa => Triacastela
Wie immer sehr früh raus – inzwischen hatte ich mich wohl daran gewöhnt, wirklich im Morgengrauen oder sogar davor aufzuwachen. Hospital da Condesa ist, im Gegensatz zu seinem Namen, ein winziges Dörfchen, das sich vielleicht 200 m. am Weg entlangzieht und dementsprechend war auch der Weg zur Bar (für B: das war Nr. 1) nicht weit.
Nach dem üblichen Kaffee – und, soweit ich mich erinnere, gab's hier ausnahmsweise Schinken zum Frühstücksbrot – ging's weiter, die zweite Hälfte des Weges durch das Dorf bis zur Kirche.
Dracula
Weil hier der Kirchturm offen war, nutzte ich natürlich die Gelegenheit, mir das Ganze etwas genauer anzuschauen, kletterte hinein, versuchte zu photographieren (was mir aber gar nicht gelang) und bewunderte die uralte Simpelarchitektur in Stein. Mein Rucksack war vor der Tür geblieben, und so entdeckte dann auch Marc dieselbe und kam auch herauf, ein sehr netter Franzose, den ich hin und wieder schon gesehen hatte, mit dem ich mich bis dahin aber nie länger unterhalten hatte.
Wir zogen also zusammen los (wobei ich ihn mächtig bremste, obwohl ich versuchte, wenigstens ein Stück weit mitzuhalten). Er erzählte mir die spannende Geschichte seines Jakobsweges: lange geplant und immer wieder verschoben weil er oder seine Frau krank waren. Jetzt war er endlich, im zarten Alter von 70 Jahren, gesund genug zu wandern – seine Frau hatte inzwischen verzichtet und ihn allein los geschickt. Zum Abschied hatte er sich im heimischen Garten einen Stock geschnitten, mit dem er auch heute noch unterwegs war, nicht ganz so schick gerade wie meiner, aber dafür um so individueller ;-)
Nach höchstens einer halben Stunde konnte ich dann nicht mehr so schnell wie Marc, also trennten wir uns, er sauste davon und ich zockelte im Langweilertempo hinterher.
Auf dem Weg gab es ein paar winzige galizische Dörfer, die zum größten Teil unbewohnt waren – offensichtlich zieht es die Bevölkerung weg aus dieser Gegend in die Zentren, wo hoffentlich ein besseres Leben möglich ist – aber auch wenn die Tatsache, dass die Leute dort kaum ihr Auskommen haben, traurig klingt, so ergibt sich aus dem Wegzug doch eine Vielzahl von Motiven, die zumindest mich ansprechen – vielleicht liebe ich ja doch das Morbide ...
Fenster

Nachdem Marc davon gesaust war, wanderte ich wieder allein durch diese sehr angenehme Wandergegend – der Weg führte auf Pfaden und landwirtschaftlichen Wegen durch eine zwar sehr hoch gelegene (1200 bis 1300 m) aber nur schwach gewellte Gegend, es regnete nicht und ich liebte es, den Blick schweifen zu lassen.
Unterwegs begegnete ich dann auch wieder einer Familie, von der immer wieder gesprochen wurde und die ich immer nur von Ferne sah, diesmal kam ich zwar direkt an den Eseln vorbei, aber die Reiter (die beiden Kinder) oder die beiden Leute, die die Esel führten (die Eltern einer Familie, die wohl aus Frankreich kam, zumindest wurde das erzählt von Leuten, die mehr als nur die Esel getroffen hatten).
Dracula

Eigentlich ja eine durchaus bemerkenswerte Sache das, da wandern ganz viele Leute unabhängig voneinander einen Weg und nach einiger Zeit kennt man sich – ich hatte von der französischen Familie gehört, später traf ich dann Leute, die irgendwann dann feststellten: „Ach, du bist das mit der kaputten Karte“, weil sie von mir gehört hatten – richtig klein ist die Welt das Jakobsweges offensichtlich.

Nach einigen Kilometern gab es dann doch noch eine richtig heftige Höhenänderung auf dem Weg, von 1200 Metern ging es auf 6 Kilometern wieder herunter auf harmlose 650 Meter – aber auch wenn das ein beachtenswerter Abstieg ist, fiel er mir kaum auf, weil es auf schmalen und nicht zu zerstörten Wegen über lange Strecken durch Wald oder Landwirtschaft ging, angenehm zu gehen und lange nicht so verschlammt und gelenktötend wie in den Pyrenäen.
Eigentlich hatte ich ja geplant, noch weiter zu gehen, aber als ich das kleine Dorf Triacastela fand, das nett im Tal lag und vor allem die Herberge sah, zwischen Dorf und Fluss gelegen, entschied ich spontan, zu bleiben, auch wenn ich höchstens 16 Kilometer gewandert war und die Energie für weit mehr gereicht hätte.
Herberge in Triacastela

Die Herberge war noch geschlossen, als ich ankam, aber würde bald öffnen, also vertrieb ich mir die Zeit mit einer kleinen Mahlzeit aus der Tüte. Als die Herberge öffnete, besetzte ich flugs ein Bett – hier gab es sehr nett eingerichtete Viererzimmer mit dem unendlich großen Nachteil, nicht geölter Schwingtüren – wann immer jemand hinein oder hinaus ging, ertönte ein Lärm, der die ganze Herberge erschütterte – und dieses überaus moderne Prinzip von Türen, die ohne Probleme jederzeit geöffnet werden können, auch wenn man z.B. einen Rucksack vor sich her trägt oder Handtücher und Wechselklamotten, dieses Quietschschwingtürenprinzip zog sich durch die ganze Herberge: Duschkabinen, einzelne Toiletten, jeder Raum hatte diese Türen. Mir war schnell klar, dass es eine harte Nacht werden würde in Triacastela.
Am Nachmittag nutzte ich die freie Zeit (selten war ich so früh in einem Ort) um mich umzuschauen, schade nur, dass dort nichts zu sehen war. Immerhin begegneten mir ein paar Reiter auf dem Friedhof, allerdings waren das eher die Leute, die man sich unter arrogantem Reitersvolk vorstellt, schicke Pferde sowieso, Reitklamotten vom Feinsten (zumindest frisch gewaschen, hochglanzgeputzte Stiefel, ...) und natürlich kein Gruß oder ähnliches (später sah ich dann, wie die Pferde in Anhänger verladen wurden, am nächsten Tag würde ich sie wieder sehen, Geländewagen entsteigend, nachdem Pferde und Reiter um die anspruchsvolleren Teile des Weges herum chauffiert worden waren)
hochwohlgeboren?

Richtig fasziniert war ich von der Architektur des Einfachen – aus den Steinen, wie sie auch zu Hauf auf dem Feldern herum lagen oder aus dem Waldboden ragten, war einfach alles gebaut, Häuser, Wege, Treppen, ... Und dabei wurde dieses eher grobe Material doch sehr kunstvoll verarbeitet und ergab perfekte Linien und Kanten, die auch in Ruinen oder zumindest leerstehenden Häusern noch lange Zeit erhalten blieben, ... Doch, für mich hat Galizien mit seinen tiefen Wäldern, diesen Häusern, diesen Steinen etwas sehr Mystisches, auch wenn ich nur Triviales photographierte:
Leerstand

In der Herberge traf ich San wieder, die ich in Leon das letzte Mal gesehen hatte, wo sie mir fünf Euro aufgenötigt hatte, nachdem sie von meinem Kartenproblem gehört hatte. Mit ihr unterhielt ich mich längere Zeit – nachdem ich aber reichlich Kram für's Abendessen eingekauft hatte, ergab sich kein gemeinsames Abendessen, wozu ich sie gerne eingeladen hätte, sie ging in eine Bar im Ort, um dort das Pilgermenü zu genießen, ich in die Herberge, wo ich mich an einem Salat aus der Plastikschüssel, frischen Gurken und Tomaten und einem Käsebrot gütlich tat und dabei mit einem Paar sprach, soweit ich mich erinnere, waren es wieder die beiden aus Irland, die ich einige Tage zuvor mal kennen gelernt hatte, aber genau kann ich mich nicht mehr erinnern, ich weiß nur noch, dass wir lange zusammen saßen, ich aus meinen Vorräten aß und mich freute an frischem Gemüse und die beiden sich an ihrer Konserve gütlich taten. Die Frau hatte mir mittags ein Buch geliehen mit Geschichten, das ich dann am Abend schon wieder zurückgeben konnte, nachdem ich zwei oder drei der Geschichten gelesen hatte, zufälligerweise ein Buch mit Texten einer südafrikanischen Autorin, die Südafrika dann doch ganz anders sah als San.
Im Dorf hatte ich in einem winzigen Laden ein paar englischsprachige Bücher entdeckt, so dass ich jetzt wieder ein Buch hatte (auch daran, welches Buch ich damals gekauft hatte, kann ich mich nicht mehr genau erinnern, es war zumindest etwas, was wohl unter dem Oberbegriff „unterhaltende Literatur“ oder Ähnlichem zu verhackstücken wäre). Da abends das Licht zentral gelöscht wurde, hatte ich noch einige Zeit Licht und widmete mich dann auch mindestens eine halbe Stunde dem Lesen im Bett, einer meiner Lieblingsbeschäftigungen überhaupt.


Strecke: 16 km
Wetter: anfangs recht kühl, später dann ausreichend warm, heftig bewölkt aber überwiegend trocken.
Allgemeine Befindlichkeit: Entspannt ruhig, ein wenig erschöpft.
Samuel B. - 25. Mai, 21:23

nur ein kaffee?! sei mir nicht böse - aber das kann ich und will ich dir nicht glauben. mindestens drei haste unterschlagen.
buch - wenn ich auf dem weg wäre, müsste ich wohl nen zweiten rucksack für die bücher mitnehmen, oder ich würde dann auf so ein elektronisches dings umsteigen. ohne käme ich ja wohl um.

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