Donnerstag, 7. Mai 2009

Jakobsweg - 07.05.2008: Fromista => Carrión de los Condes

In der Herberge war ich wie immer recht früh aufgewacht, war aber wacker im Bett geblieben, weil ich auf das Frühstück warten wollte, das erst zu einer bestimmten Zeit beginnen würde (ich weiß jetzt nicht mehr, wie spät). Dort ließ ich mir dann wieder besonders viel Zeit - in mein Heft hatte ich dann abends geschrieben, dass es wohl offensichtlich Leute gab, die ich nicht mochte und diese erst von dannen ziehen lassen wollte, heute kann ich mich an besonders Vorfälle nicht erinnern, aber was meine Reaktionen auf Unsympathlinge angeht, kann ich mir das sehr gut vorstellen, sobald mir jemand als unsympathisch auffällt (und das waren auf dem Weg dann doch einige, und der Weg gab mir nicht die Ruhe oder Demut, da irgendwann anders zu reagieren), versuche ich, möglichst weit weg zu sein, auch wenn das heißt, dass ich eine viertel Stunde länger frühstücke, nur um der Person nicht auf dem Weg zu begegnen.
Irgendwann war ich dann aber doch unterwegs und fand am Ortsausgang genau die Baustelle, die die beiden Neuseeländer vorhergesagt hatten - ein gigantischer Straßenneubau, LKW allüberall, Raupen, Bagger, Staub, Bauzäune, Baugruben, Schlammlöcher, Fußwege, die geradewegs in tiefe Löcher führten, Wegweiser, die in den Untergrund gewalzt waren, in das Erdinnere wiesen oder in andere sinnentleerte Fernen ...
Tatsächlich gab es keine Schilder, keine gelben Pfeile und keinen wie auch immer zu ahnenden Fußweg durch das Baustellenchaos, geschweige denn eine Unterführung, die die Etappenbeschreibung aus meinem klugen Buch versprochen hatte. Ich ahnte die ungefähre Richtung, in die es gehen müsste, Westen eben, die Sonne müsste mir im Rücken stehen und der Weg müsste senkrecht zur Schnellstraße, an der hier offensichtlich gebaut wurde, weiter führen - und von einer Halde aus konnte ich dann auch in einiger Entfernung einen Weg sehen, der Feldwegartig in die ferne führte, aber zuvor galt es, das Gewirr aus Pisten, Löchern, aufgerissener Erde, Halden, tiefer Gräben usw. zu überqueren, wo dann teilweise auch aktuelle Bauarbeiten geschahen, Baustellen-LKW vorbei donnerten, Raupen hin und her schoben und man sich im Gewirr verlieren konnte. Auf dem Weg, den ich für vielversprechend hielt, kam mir eine einzelne Gestalt gefolgt von einer Gruppe entgegen, bedeutete mir, dass der von mir eingeschlagene Weg nicht der richtige sei und schwenkte zur Seite ab - brav folgte ich (über wirklich übel zerstörte Oberflächen, dann über die Trasse der zukünftigen Schnellstraße, ab einer riesigen Halde vorbei nur um wieder eine neue Trasse überqueren zu müssen, wozu wir vorher durch einen Graben mussten, der alledings voller Wasser war - nach einigem Suchen fand sich dann doch eine Stelle, wo der Graben zu überwinden war und zwischendurch waren wir uns so nahe gekommen, dass ein Gespräch möglich war: auf dem anderen Weg sei ein Weiterkommen nicht möglich gewesen, das hätten sie ausprobiert, sagte sie mir, es müsse hier entlang gehen. Ich erwiederte, dass ich ihr dann brav folgen würde, wie sich das ja für ein Schaf gehöre, seien wir doch alle Schafe, die den gelben Pfeilen folgten und sie müsse mir nun meine gelben Pfeile ersetzen, nachdem sie den anderen Weg schon ausprobiert habe und der nicht nach Santiago führe. Sie entgegnete, sie sei aber vielleicht der Wolf und ich laufe Gefahr, gefressen zu werden, wenn ich ihr folge. Nun gut, dann sei dem eben so, das Leben sei gefährlich und ich müsse mich diesem wohl oder übel ausliefern, hätte ich doch keine Lust, mich hier zu verirren und erwecke sie den Eindruck, einen Fehler schon gemacht und daraus gelernt zu haben, den ich vermeiden könne, wenn ich darauf vertraue, dass sie mich nicht belüge, ...
Nun gut, ich kam nicht in die Sackgasse, aus der sie zurückgekehrt war, und wir fanden dann mehr oder weniger gemeinsam einen Ausweg aus dem Chaos, vielleicht nicht den besten Weg, vielleicht auch nicht die offizielle Version, aber irgendwann kamen wir doch auf den von weitem erahnten Weg und fanden auch die ersten echten Wegweiser
Wegweiser
(das Photo ist am Vortag entstanden, ein sehr sehr ähnliches habe ich aber wirklich an jenem Morgen an genau jenem Weg gemacht, nur war auf dem Stein ein mit Klebeband zusammengehaltener Wanderschuh und der Stein an sich etwas neuer).
Mit dem Wolf (Cecile) zusammen zog ich armes Schaf dann weiter, wir wanderten einfach gemeinsam, unterhielten uns lange Zeit, schwiegen auch mal, sie wartete immer wieder, wenn ich photographierte, ich wartete, als sie mal ins Gebüsch verschwand, es war ein Weg ohne besondere Höhepunkte. Er folgte den größten Teil der Strecke einer Straße (die zwar nicht zu stark befahren war, aber auf der trotzdem immer wieder Autos lautstark und viel zu schnell vorbei donnerten), und es gab nur wenig Abwechslung - da war es sehr angenehm, nicht allein zu wandern, sondern nette Gesellschaft zu haben.
Viel gab es nicht zu photographieren (auf meiner Festplatte habe ich ein paar Blümchen gefunden, langweilige Landschaft, wieder mal eine Kirche, einen völlig misslungenen Raben, dessen Flug ich versuchte einzufangen, noch eine Kirche), und noch weniger Photos, die sich anzuschauen lohnen.
Highlight

Die relativ kurze Etappe beendeten wir in Carrión de los Condes nach nur 19 Kilometern, denn von dort aus wären bis zum nächsten Dorf 16 Kilometer ohne Einkehrmöglichkeit zu wandern, bis zur nächsten Herberge wäre es wesentlich weiter, so dass eine Gesamtstrecke von über 40 Km zurückzulegen wäre - und dazu hatte ich dann ganz und gar keine Lust.
Wir fanden ein Quartier im Kloster, wo uns der Unteroffizier - von mir so benannt wegen seines zackigen Stils, in Wirklichkeit wohl Novize oder gar nur ziviler Angestellter, uns unsere Schlafplätze anwies und wir uns fühlten, als müssten wir salutieren (und diesmal waren ausnahmsweise am Abend alle Betten belegt - aber es gab noch mehrere andere Herbergen und dort angeblich auch freie Betten).
In der Herberge trafen wir San, die sich vorstellte mit "Hi I'm San from South Africa and I'm white", nachdem sie wohl immer wieder Verwunderung geerntet hatte als weiße Südafrikanerin (zudem auch noch nett), .... Cecile und San kannten sich schon und freuten sich, sich zu sehen, gleichzeitig hatten wir alle vom Unteroffizier seltsame Einweg-Bettbezüge bekommen, mit denen wir jetzt hantierten, ich mit dem Bett beschäftigt, San eher damit, aus Cecile eine Braut zu machen und den entsprechenden Hochzeitsmarsch anzustimmen - lustig war's und gehörte photographiert.
Braut

Es war lustig, aber es war nicht übertrieben laut, normale Zimmerlautstärke eben und 14.20 Uhr, eine Zeit also, wo man vielleicht auf kleine Kinder Rücksicht nehmen muss, die ihren Mittagsschlaf brauchen, wenn sie im selben Zimmer schlafen müssen, aber ganz sicher keine Zeit, wo man in einer Herberge am Jakobsweg absolute Nachtruhe halten muss.
Aber nein, eine ziemlich eklige Ziege (an alle vierbeinigen Ziegen schon mal eine Entschuldigung, dass ich euch mit diesem Wesen gleich setze, aber mir fehlt es einfach an Wörtern), natürlich deutschsprachig, wie sich später herausstellte, fing an, die beiden anzukeifen - ich denke mal, sie war lauter als unser Lachen und Sans Gesang. Aber die arme Ziege, die vermutlich schon um 4 Uhr hatte aufstehen müssen, weil man sonst ja die anderen nicht nerven kann, wollte eben ihren Mittagsschlaf halten, und da störte jedes kleine menschliche Geräusch.
Nun, sie schrie und heulte vor sich hin und entsetzt gingen wir hinaus, liehen uns die Wäscheschüssel aus und machten es uns gemütlich, zwar heftig verärgert über diese Ziege, die nicht in der Lage war, in normalen Tonfall um Ruhe zu bitten, was jeder verstanden hätte, sondern eben gleich den guten deutschen Kasernenbrüllaffenton herauskehrte oder den der Latrine vielleicht. Bestärkt wurden wir dann noch von einer Frau, die auch im Zimmer gewesen war, die wir gar nicht wahrgenommen hatten: sie kam hinaus und schloss sich unserem Entsetzen an - und unserer fröhlichen Fußbaderunde :-)
Bad

(und von der Latrinenbrüllerin würden wir noch hören, tief in der Nacht, nach 22.00, weit nach der offiziellen Ruhezeit von 21.30 Uhr an, als sie mit ihren Kumpanen angeschickert aus der Bar kam und, genauso wie die drei anderen, natürlich heftig taschenbelampt herumwerkelte, lärmte, mit kaum gesenkter Lautstärke, weit lauter als Flüstern sich mit den Kumpanen unterhielt. Später in der Nacht wachte ich nicht vom Schnarchen der Kanadierin auf, die im Bett unter Cecile schlief, sondern davon, dass wieder genau jene Deutschländerin jammerte ob des Schnarchens, wieder nicht flüsternd sondern durchaus stimmhaft und das mehrmals. Schließlich war sie es wieder, die zusammen mit ihrem Mitpack wiederrum lärmend und taschenlampend lange vor dem Hellwerden aufstand und mindestens 10 Minuten lärmte und leuchtete, ehe die Gruppe den Schlafraum verließ, uns in Ruhe schlafen und die Kanadierin in Ruhe schnarchen ließ - und ja, das Schnarchen war nicht toll, aber mich störte es sicher viel weniger als die lauthalse Aufregung darüber, die es nicht änderte und die bewusst formuliert wurde also hätte verhindert werden können.
Hätte ich diese Person noch einmal gesehen, ich bin mir sicher, ich hätte sie an ihr Verhalten erinnert und ich bin mir sicher, ich wäre nicht nett und höflich gewesen, aber gleichzeitig weiß ich auch, dass ich gar nicht so tief in die verbale Kläranlage hätte greifen können, um diesem Stück selbstgerechter "christlicher Pilgerheiliger" gerecht zu werden - und nein, es mögen vielleicht alle, die den Weg gehen, Pilger genannt werden, aber zu guten Menschen macht der Weg solche Gestalten ganz sicher nicht, sie bleiben in ihrer kleinkarierten dünnen Haut die schlechten Menschen, die sie auch vorher waren, vielleicht in den eigenen Augen zwar gute Christen, wahrscheinlich sogar, wenn ich meinen Vorurteilen glaube, aber mehr auch nicht.

Na, egal. Das Fußbad und das gemeinsame Reden und Entsetzen taten gut, wir trennten uns, ich ging in die Stadt, um vielleicht irgendwo meine Photos gespeichert zu bekommen, weil der Platz auf dem Chip immer weniger wurde. Das Internetcafe war geschlossen und der örtliche Photograph völlig ahnungslos: er hatte noch nie eine so große Speicherkarte gesehen, schaffte es dann aber doch innerhalb einer halben Stunde die ersten hundert von 1500 Bildern zu finden und auf meine kleine Festplatte zu kopieren, die er ehrfurchtvoll betrachtet hatte, nachdem er realisierte, dass das kleine Kästchen wirklich eine Festplatte war (ich gebe zu, ich war genauso erstaunt gewesen, als ich damals eine scheckkartengroße, 9 mm dicke Festplatte gefunden hatte, die 120 Gigabite speichern konnte ;-). Ich musste also irgendwo anders einen Computer finden, an dem ich meine Photos übertragen könnte, hier war ich offensichtlich fehl am Platz.
Ich schaute mich noch im Dorf um und machte an unserem Kloster das allerletzte Photo mit meiner guten alten 20 D, die danach irgendwie einen Schaden hatte: sobald sie Strom bekam, zuckte der Verschluss lauthals vor sich hin, egal, was man machte, sie hatte mindestens einen heftigen Hirnschlag bekommen, wenn nicht mehr (und ich probierte alles aus, ausschalten, irgendwelche Knöpfe beim Start drücken, schimpfen und fluchen, streicheln, Batterie herausnehmen, unangeschaltet die Batterie wieder hineinschieben, angeschaltet die Batterie wieder hereinschieben, beim Batterie hineinschieben irgendwelche Knöpfe drücken, die Minibatterie hinaus basteln, die zuständig ist dafür, dass die Kamera weiß, dass sie eine Kamera ist und wie spät es ist, egal was ich tat, die gute konnte nicht mehr denken und ich war verzweifelt.
Und hier ist es, das allerletzte Bild meiner 20 D, ehe ich sie dann Monate später daheim in Istanbul wieder reparieren ließ (was "nur" 120 Euro kostete, wenn ich mich richtig erinnere):
Henkersbild

Natürlich sauste ich sofort zurück zu dem Photoladen, um zu schauen, was der wohl im Verkauf hätte, dass er mir anders nicht helfen könnte, war mir reichlich klar. Der Laden hatte zwar schon geschlossen, hätte mir aber höchstens eine Ritschratschklick anbieten können, die vielleicht in den Händen eines guten Photographen gute Photos produzieren könnte, mit der ich aber nichts hätte anfangen können.
Also hoffte ich auf den nächsten Tag und die nächste Etappe, Sahagún, ein etwas größeres Städtchen, wo es vielleicht einen besser ausgestatteten Photoladen gäbe.
Es gab dann noch mal ein Abendessen aus der Tüte und die oben schon beschriebene Nacht mit ihren Störungen.

Strecke: sage und schreibe 19 Km, flach, immer an der Straße entlang.
Wetter: Warm, windig, gegen Abend immer stärker bewölkt, Gewitter.
Allgemeines Befinden: Schienbeine schmerzten noch, Knie kaum, Kamerakaputtfrust

Aktuelle Beiträge

Ein neuer Anfang
Es sieht so aus, als gäbe es Stückzeit noch - aber...
erik-n - 29. Aug, 12:13
Dem Elefanten waren die...
Dem Elefanten waren die Augen zugeklebt? Unfassbar,...
iGing - 16. Apr, 09:33
Bangalore - Delhi
Meine kleine Himalayareise hat begonnen. Ich sitze...
erik-n - 16. Apr, 04:06
Der Himalaya ruft
Heute war der letzte Arbeitstag. Morgen ist Packen...
erik-n - 13. Apr, 19:17
Der Himalaya ruft
Heute war der letzte Arbeitstag. Morgen ist Packen...
erik-n - 13. Apr, 19:17

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 6049 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Aug, 12:13

Web Counter-Modul


ägyptische Zeiten
Auf den Ohren
Auf nach Indien
Bilderchen
Fundstücke
für die menschheit nix großes
Hohe Zeiten
house art
indische Zeiten
photozeiten
Splitterzeiten
Tatort
Traumzeit
türkische Realität
Türkishe Realität
unterzeitwegs
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren