Mittwoch, 27. Mai 2009

reconvaleszent

fühle ich mich noch, habe arge schwierigkeiten, gar zu lange zu sitzen und muss pausieren, sobald ich einen Tag für mein Jakobswegtagebuch geschrieben habe (sind nur noch zwei Tage zu schaffen, dann ist auch die Sache endlich fertig ;-).
Aber: bisher sind die beiden letzten Operationen gut verlaufen, die Narben heilen prima, bis auf drei versteifte Wirbel wird wohl nichts übrig bleiben.
Hipp hipp hurra.
so, und nu noch mal ein wenig liegen ;-)

Jakobsweg – 25.05.2008: Arca do Pino => Santiago de Compostela

Schön, wenn man mal gemütlich ausschlafen kann, für das Frühstück einfach nur ins Nachbarhaus geht und dann nur Minuten braucht, um flugs im Wald zu sein – genau so geschah es an jenem Tag zu Beginn der allerletzten Wanderstrecke. Und der Gedächtnisersatz Computer verrät mir heutzutage, dass das erste Bild des Tages um 8.10 Uhr entstand, also um einiges später als gewöhnlich.
Und kaum waren wir von unserer Pension die paar Meter zum „Weg“ zurück gegangen, fanden wir uns auch wieder inmitten eines nicht enden wollenden Stroms von Pilgern wieder, es geschah nur noch selten, dass ich wirklich mal ein Stück des Weges ganz ohne Menschen vor mir hatte.
Weg im Wald und so

Immerhin versprach das Wetter Besserung – meine Schuhe waren wieder trocken und ich war guter Hoffnung, auch trockenen Fußes bis hin nach Santiago wandern zu können. Es hatte sich zwar ergeben, dass ich gemeinsam mit San gestartet war und dass wir immer wieder gemeinsam wanderten, andererseits aber gingen wir auch immer wieder ein Stück weit allein, mal blieb ich zurück, um zu photographieren, mal sie, um sich neue Blumen für ihren Hut zu pflücken (ihr Hut war jeden Tag mit neuen Blumen, die sie am Wegrand auflas), mal ging die eine mit jener, mal der andere mit anderen, ...
Es gab wieder ganz viele spannende Dunstflecken zwischen den Hibiskuswäldern Galiciens, und das fand ich spannend, wollte es photographieren, war auf der Jagd nach mystischen Szenen – und hatte öfter mal das Problem, dass gerade Leute meinen Blick störten oder eben gerade mal die richtigen Leute, die aus einem Nebel kommen sollten oder darin verschwinden, nicht zur Stelle waren.
Weg

Eigentlich war die letzte Etappe harmlos, wir starteten bei ca. 300 Höhenmetern, kamen auf 250 herab um dann auf 2 Kilometern auf ca. 370 und nach einem weiteren leichten Abstieg schließlich sogar auf fast 400 Höhenmeter zu klettern, Aufstiege, über die wir vor ein paar Tagen noch gelacht hätten – aber gerade die letzte Steigung zog sich unendlich lang hin. In einer Dreiergruppe (soweit ich mich erinnere Melinda, San und ich) waren wir unterwegs und fingen bald zu zweifeln an, ob wir auf dem richtigen Weg wären, denn wir sahen auf langer Strecke niemanden mehr und fanden einfach nirgends die üblichen gelben Pfeile. Wacker stapften wir zwar voran, zweifelten, ob der richtige Weg wirklich sooo weit hinauf führen müsste und schwärmten aus auf der Suche nach Hinweisen, bis uns ein Fahrradfahrer entgegen kam, der gleichfalls auf der Suche nach dem rechten Weg war, meinte, unser Weg sei der Falsche und hinter uns verschwand. Nach kurzem Kriegsrat beschlossen wir, den ärmsten zu ignorieren und trotzdem starrsinnig weiter zu gehen, als er uns auch schon wieder einholte, gestand, dass er sich geirrt habe und nun einen Pfeil entdeckt hab, der in unserer als der richtigen Richtung wiese. Vor uns sahen wir ihn nun verschwinden, hinter uns eine andere Gruppe herankommen und waren bestärkt, nun selbst den rechten Weg gefunden zu haben und gingen weiter (eine kurze Episode nur, aber zum ersten Mal seit langer Zeit war das der erste Moment, wo ich mir wirklich unsicher war – bis dahin hatte ich mich inmitten der gelben Pfeile so sicher wie in Abrahams Schoß gefühlt, war durch ein ganzes Land gewandert ohne hinreichend gute Karten, manchmal ganz ohne den Namen des Ortes zu wissen, zu dem ich gehen wollte am Ende des Tages, meist ganz ahnungslos, was die Umgebung betraf und war doch immer wieder sicher zum nächsten Dorf geleitet worden, zur nächsten Herberge, zur nächsten Bar).

Der letzte Weiler vor Santiago war dann doch irgendwann erreicht, San Marcos mit einem hübschen kleinen Friedhof.
Friedhof

Hinter San Marcos kamen wir zum Monte del Gozo, der Anhöhe, von der aus zum ersten Mal Santiago zu sehen ist oder vor allem die Kathedrale von Santiago. Dort hatte sich im sommerlichen Wetter eine ganze Menge von Menschen eingefunden, viele viele Pilger, manche auch einfach Spaziergänger aus der Umgebung, es war richtig voll dort und dort blieben wir eine Weile sitzen, tranken (richtig schlechten) Kaffee, aßen eine Kleinigkeit, genossen einen letzten Moment des Weges, bevor es dann in die Stadt und dort zur Kathedrale und zum Ende des Weges ginge, irgendwie wollte ich gar nicht weiter gehen, weil dadurch eine recht lange Zeit zu Ende ginge, andererseits war ich aber auch erpicht darauf, das ganze endlich zu Ende zu bringen. Ein spannender Moment also (mal davon abgesehen, dass ich natürlich wieder einmal versuchte, Photos zu machen, weil ich irgendwo ein paar sehr ungewöhnlicher Stiefel gesehen hatte, vom Blick auf die Kathedrale, der jetzt hier hin gehören würde, aber habe ich es gar nicht erst versucht ... ;-)
Weil ich dort aber selbst nichts Sinniges zu Stande brachte, gibt’s einfach nur einen Link, da kann man Infos kriegen, die richtige Schreibweise finden und – wer will – kann dann im Netz bestimmt mehr finden http://de.wikipedia.org/wiki/San_Marcos_-_Monte_do_Gozo ;-)
Lustig war es auch, hier eine Menge der Leute zu sehen, die man unterwegs immer wieder getroffen hatte, das Paar aus Ks war da, die beiden Oldenburger, E. und seine kleine Tochter – gerade mal 15jährig und am Vorabend wohl mit ein paar anderen jungen Leuten lange lange unterwegs, so dass sie jetzt erschöpft auf der Wiese lag und schlief, waren auch angekommen, ein wirklich tolles Bild, als sie Hand in Hand ankamen, der Vater die Tochter ziehend und ihren Rucksack vor dem Bauch tragend, H. aus Ostfriesland, sogar die drei süßen Franzosen, die ich ganz am Anfang kennen gelernt hatte, waren dort, ...

Irgendwann ging es dann doch weiter. In den Vororten Santiagos begegneten wir einem Opa, der seiner Enkelin das Pilgerleben vorführte – sie sahen wirklich so aus, als wären sie „Pilger gucken“ gegangen:
Pilger gucken

Der Weg führte vorbei an Vorortkunst, an einer großen Straße entlang, eigentlich immer recht gerade bis hin zur Kathedrale – aber natürlich konnte ich nicht anders, als auch unterwegs noch ein paar Photos zu machen, z.B. von der Vorortkunst:

Vorortkunst

In einem Vorort kam es dann zu einer lustigen Situation, in der ich dann endgültig klarstellen durfte, dass ich ganz sicher den Weg nicht gewandert war, weil ich nun immer nur lieb und brav sein wollte und vor christlicher Nächstenliebe dahin schmelzen würde, sondern dass ich ein von grundauf verdorbenes Wesen bin: Irgendwo auf dem Weg ergab es sich, dass auf dem großen, ein klein wenig unübersichtlichen Vorplatz eines öffentlichen Gebäudes, Uni vielleicht oder Stadtverwaltung oder Schule oder was auch immer, auf die Schnelle kein Pfeil mehr zu sehen war (und im Laufe des Tages hatten wir, vor allem Melinda und ich, darüber philosophiert, wie einfach doch das Leben sei, wenn man einen Gott, einen Hirten oder einen Pfeil hätte, der einem den Weg wiese). Wir blieben nicht lange allein, in Minutenschnelle hatten sich mindestens 10 Menschen gesammelt und eine kleine Gruppe (an einem der letzten Tage schon negativ aufgefallen, zumindest mir, der ich meine Langstreckenpilgererdünkel und diverse andere Vorurteile mit mir herumtrug in meinem eh schon zu schweren Sack auf dem Rücken), diese Gruppe, deutschlärmend außerdem, fing nun an, im mitgebrachten Stadtplan von Santiago zu suchen, also beschloss ich, mich auf die Schnelle als schlechten Menschen zu outen. Weil sie bald herausfinden würden, dass es eigentlich nur geradeaus gehen könnte, gab es doch nur eine Straße, die nach links und wieder aus Santiago heraus führen würde und als Alternative über Parkplätze und Fußwege des öffentlichen Komplexes zur rechten hinweg einen Weg, der die etwas indirekte Fortsetzung des Weges darstellen würde, den wir gekommen waren, weil alle, wenn sie sich nur einmal genau umschauen würden, sofort diesen Weg geradeaus als einzige Möglichkeit erkennen würden, musste ich böse sein, bevor sich jemand ernsthaft umschaute. Kurzerhand sagte ich zu den direkt umstehenden, dass ich nun böse sei und den Herdentrieb vorführte (ok, die meisten konnten das nicht hören, gebe ich ja zu) und ging zielstrebig einfach in der Richtung los, in der ich den nächsten Pfeil erwartete – und siehe da, restlos alle folgten mir, vergaßen den Blick auf die Karte, packten diese wieder ein und wanderten glücklich weiter, auch an mir vorbei, nun den richtigen Weg kennend und glücklich und zufrieden, auch als ich am Rand stehen blieb um auf Melinda und San zu warten, die etwas langsamer waren als die Deutschgröhlenden, gingen sie an mir vorbei und weiter – es hatte eben nur einen Leithammel gebraucht, der den Weg wies und die Welt war in Ordnung und dass ich sie und damit uns alle vorführte, nahmen sie gar nicht wahr. (Melinda schimpfte scherzhaft ein wenig mit mir, aber wir waren uns einig, dass wir gerade genau das Phänomen gesehen hatten, über das wir uns eben unterhielten).
In Santiago selbst trennte sich unser Grüppchen, das auf fünf oder sechs Leute angewachsen war wieder, die meisten wollten in jene berühmte Herberge, die richtig groß sein soll, irgendwo habe ich etwas von 800 Leuten gehört, finde aber auf die Schnelle keine genaueren Informationen, San und ich waren wieder auf dem Luxustrip und wollten versuchen, wieder Zimmer in einer Pension zu finden – fanden wir auch, direkt bei der Kathedrale und nicht gar zu teuer (wenn auch hochgradig einfach und nicht das, was man wirklich klinisch rein nennen würde). Und auch hier wieder der Versuch der Wirtin, die Sprachlosigkeit mit Lautstärke zu übertönen (ich kann nach wie vor nur Brocken Spanisch, immerhin mehr als San, die Wirtin kein Englisch). Und natürlich wollte uns die Wirtin weiß machen, dass wir ein gemeinsames Zimmer bekommen könnten (für 60 € pro Nacht), führte San dann auch in die Zimmer und machte ihr gestisch klar, dass sich in den Zimmern prima alles das machen ließe, was Mann und Frau miteinander machen. Es brauchte dann noch einmal fünf Minuten, bis wir der guten Frau klar gemacht hatten, kein Paar zu sein und zwei einzelne Zimmer statt eines doppelten zu benötigen – und schließlich bekamen wir die gewünschten Zimmer, das eine für 20 €, das andere für 30 € - also einfach 25 für jeden und San durfte aussuchen, ich bin ja gut erzogen ;-)
Irgendwann muss ich doch noch die Photos raussuchen, die ich damals in der Kneipe machte, die zur Pension gehörte – die Wirtin war schon eine sehr eigenartige Frau, sehr laut, nicht wirklich super sympathisch aber die Zimmer waren OK, nicht zu teuer nach ca. 15 Minuten Verhandlung und allerhöchstens 5 Minuten von der Kathedrale entfernt.
Kaum hatten wir uns eingemietet, sausten wir auch noch zum Pilgerbüro, um die Compostela abzuholen – die Schlange war nicht allzu lang, auch wenn ich sie zunächst mit einem Schock gesehen hatte:
Schlange

Die Verteilung der Compostelen (ist das der Richtige Plural von Compostela, dem offiziellen Namen der Urkunde, die die Pilgerfahrt bescheinigt?) war recht einfach organisiert: In einem Raum saßen zwei Frauen, schauten sich die Pilgerpässe an, um die Einhaltung der wichtigsten Vorschriften zu überprüfen (z.B. ob die letzten 100 Kilometer zu Fuß gegangen waren), trugen Namen und Herkunft in große Bücher ein, suchten die lateinische Entsprechung des Namens aus einem anderen Buch heraus und schrieben den in die entsprechende Urkunde und schwuppdiwupp war man abgefertigt.
Bei mir gestaltete sich das Prozedre denn doch mit einem nur kleinen Unterschied: ich war wohl heringehüpft in den Raum, als ich an die Reihe kam – es war mir selbst zwar nicht aufgefallen, aber es war wohl so. Als ich gemütlich da saß, die Frau fragte, wo ich wohnte, zögerte sie bei Istanbul, da ja im Pilgerpass das Dorf bei Kassel festgeschrieben stand – und leider richtete sie sich nach den Angaben im Pilgerausweis, nicht nach dem realen Wohnort, sonst wäre ich am folgenden Tag bei der Pilgermesse als einziger Istanbulpilger erwähnt worden ;-)
(Beim nächsten Mal werde ich darauf achten, ich bin ja doch auch eitel).
Und bevor sie dann die Compostella ausstellte, fragte sie nach bei ein, zwei Stempeln und tat ganz gewissenhaft, wenn auch mit reichlich Schalk in der Stimme. Verwundert fragte ich sie dann, was denn das Problem sei, woraufhin sie noch ganz trocken meinte, dass ich ja wohl kaum zu Fuß gegangen sei. Nun war ich baff, hatte mich hunderte von Kilometern durch Eis, Schnee, Regen, klirrende Kälte und grausamste Tropenhitze geschleppt, Enbehrungen fast ohne Ende ertragen, war des öfteren gestrauchelt (aber immerhin nie gestürzt), hatte also mein Menschenmöglichstes, ja fast Unmenschliches geleistet, um hier zu stehen und diese Kirchenbeamtin wagte zu zweifeln!
Und all dieses Gedankenwirrnis hatte sie wohl in meinem Gesicht widergespiegelt gesehen – hatte es ja auch hervorrufen wollen – und fügte nun breit grinsend hinzu, dass ja sonst kaum jemand so dynamisch und hüpfend sich ihr nähere und dass das doch nahelege, die Ensthaftigkeit der Pilgerfahrt zu überprüfen. Kaum hatte sie's gesagt, war auch meine Compostela fertig, Henricus ward ich geworden aus Alemaniya, und als Pilger aus weltlichen Gründen anerkannt, bescheinigt und aufgeschrieben.
Leider habe ich Depp vergessen, die Urkunde einzuscannen oder abzuphotographieren, das werde ich nachholen, sobald ich zu hause bin ;-)

Abends ging's dann noch in ein nobles Café – vielleicht das, wo M. vor 17 Jahren den schmierigen Klavierspieler kennengelernt hatte? Auf jeden Fall gab's Klavierspiel live und dann auch noch Thomas und Gabi, die inzwischen auch angekommen waren, was mich wirklich heftig freute, hatte ich sie doch an meinem zweiten Tag kennen gelernt.
Café


Am Abend traf sich dann eine bunte Gruppe von Pilgern zum Abendessen in einer Bar, an das ich mich gar nicht mehr erinnern kann, aber es gab zumindest das gute Estella und einige Gespräche, hauptsächlich über den Weg und über die Körperlichkeit, die wir dort alle erfahren hatten – während des Wanderns über so lange Zeit und weite Strecken wird der Körper mit all seinen Problemen zum Gesprächsthema, spätestens dann, wenn diverse Krankheiten, Blasen, Muskelkater, Erschöpfungszustände bewusst machen, dass wir nicht nur als Geistwesen umherschwirren, sondern eben auch einen Körper haben, der nicht immer so will wie er soll. Insgesamt war der Abend aber recht kurz – die Körper forderten nach der Wanderung ein gewisses Maß an Schlaf.
Café



Strecke: 19 Kilometer, nur schwach hügelig aber als ganz schön steil empfunden
Wetter: teils sonnig, teils bewölkt aber kein Regen.
Allgemeine Befindlichkeit: ganz gut, die Knie schmerzten nur noch wenig, die Schienbeine gar nicht mehr, aber nachdem nun das Ziel erreicht war, stellte sich allmählich eine gewisse Unruhe im Innern ein.

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